''Dienstag ist Rugbytag''
von Henry Müller
 
 

Dienstag, ......

Dienstag, ist Rugbytag ...... !

Dienstag, ist Rugbytag, aber wie soll man das jemanden erklären?
Wie soll man jemandem einleuchtend erklären, daß sich einigermaßen erwachsene und vernünftige Frauen und Männer jeden Dienstag treffen, um sich unter Wasser

  • unter akutem Sauerstoffmangel,
  • unter massiver Gewaltanwendung,
  • unter Anwendung aller erlaubten (und unerlaubten) Tricks,

um einen billigen, salzwassergefüllten Ball zu streiten, nur um diesen dann mit stolzgeschwellter Brust in einen alten Papierkorb zu pressen.
Idiotisch ...... einfach idiotisch ...... !
Aber - wer einmal damit angefangen hat, so wie ich, wird abhängig davon. Ehrlich! ......, ich schwör`s, richtig süchtig wird man davon, trotz aller physischen und psychischen Schäden, die man sich jede Woche wieder holt.

Dienstag, ......

Dienstag, hoffentlich ist bald Dienstag !

  • Mittwoch schon wird die Tasche gerichtet,
  • Donnerstag der Inhalt überprüft,
  • Freitag noch einmal nachgeschaut,
  • Dienstag fehlt dann doch die Hälfte!

Das Wochenende ist viiiel zu lange, die Arbeit am Dienstag geht zäh von der Hand. Die Anfahrt zieht sich endlos und jede rote Ampel wird zur Qual.
Dann ist es endlich soweit, der nächste Trip ist nahe:
Um nicht gleich als Rugbysüchtiger aufzufallen, wird unauffällig und mit gespielter Ruhe erst noch geduscht, geschwommen und vor allem viel gelabert.
Die reine Qual ......
Aber Tarnung ist eben alles.
Aber dann .....,
dann endlich ist es da,
das Ziel der Erwartungen,
der Trip,
die Erlösung,
die Befreiung, von der Last einer laaaangen Woche.

Die Wahl der Gegner

Damit es nur schnell beginnt und um sich für den versäumten letzten Dienstag zu bestrafen, wählt man sich selbst die härtesten und wildesten Gegner aus, zum Beispiel

  • Klaus den Killer
  • Karin die Aalgleiche
  • Bernd den Eisenfuß oder
  • Harry die Planierraupe.

Gefährlich sind sie alle !
Gefährlich, verschlagen, trickreich und rücksichtslos.
Ein Menschenleben gilt ihnen nichts. Der Kampf ist ihr Ziel. Süchtige unter Süchtigen.

Vernarbte, grimmige Gesichter mustern sich misstrauisch aus ihren zu Schlitzaugen zusammengepressten, glasigen Augen.

Mordlust im Blick.

Die Farbe der Kappe entscheidet ab diesen Moment, wer Freund und wer Feind.
Die schweren, papierkorbgroßen Eisentore werden am Grunde des Beckens versenkt, der mit Salzlake gefüllte Ball in eine neutrale Lage zwischen den feindlichen Lagern gebracht. Die Gladiatoren haben auf ihrer jeweils zugeteilten Seite Aufstellung genommen. Wütend scharren sie mit den Flossen, ungeduldig wird in den Schnorchel geblasen.
Ein letztes Gebet .....,
dann ......

DER KAMPF BEGINNT

Tief saugen sie noch einmal ihre kampferprobten Lungen voll Sauerstoff, dann stoßen sie sich ab, hinab ins ungewisse, dem Feind entgegen. Hart prallen ihre Leiber aufeinander.
Erst weit hinter den feindlichen Linien kann der erste, taktisch kluge Vorstoß gestoppt werden. Ein Knie streift, wie zufällig, die Maske des Angreifers vom Gesicht.
Schon ist der Ball in den Händen der Gegner.
Doch nicht für lange ......

Harte Hände krallen sich in den Gummi seiner Badehose, verzweifelt versucht er sich zu befreien, doch bevor seine Lungen bersten, muss er den Ball freigeben.
Der Ball trudelt in die Tiefe.

Arme und Flossen der Abtauchenden bringen die Wasseroberfläche zum Brodeln.
Wer wird den Ball zuerst erreichen?
Der Schnellste greift ihn sich, prescht sofort in Richtung des gegnerischen Tors und schon fühlt er sich in tausend Teile zerrissen. Drei der furchtlosen Feinde haben sich gleichzeitig auf ihn gestürzt und zerren an ihm, als wäre er eine Stoffpuppe, die Fingernägel schneiden sich in sein Fleisch.

Nur eine schnelle Abgabe rettet den Unglücklichen vor den sicheren Tod.

Doch da ......
Ein Tor ist gefallen ......
Keiner der geschlagenen Mannschaft kann es fassen, wie konnte es geschehen?
Eine der Amazonen der Gegenmannschaft erfaßte eine Lücke und schoss in einem unglaublichen Sprint am Grunde des Beckens entlang.
Keiner konnte sie halten.


Voller Zorn und Frust über ihre Niederlage werden harte Worte, Vorwürfe, Anschuldigungen über das trennende Wasser gebellt. Doch nur Schmährufe der Sieger hallen zurück. Das spornt dazu an, die Härte und das Tempo des Kampfes noch zu verschärfen.
Gnade ist ab jetzt ein Fremdwort.

Wie ein Becken voller hungriger Piranhas, in das man einen blutigen Brocken Fleisch geworfen hat, sieht der nächste Angriff aus. Kein unbedachter Schwimmer sollte sich jetzt in das Becken wagen!

Lange Zeit wogt der Kampf auf brutalste Weise hin und her.

Ausgerissene Flossen und verbogene Schnorchel treiben an der Oberfläche.
Ein Bild des Grauens.
Hart keuchen die Lungen der Kämpfer, die Angriffe werden kürzer und rauher, bis der erlösende Ruf erschallt, "letzter Angriff":
Wie von Sinnen, wie im Rausch, versuchen einige dieses Signal einfach zu überhören.
Doch alle mobilisieren noch einmal ihre letzten Reserven, soweit noch vorhanden.

Hier wird noch einmal der Arm verdreht, dort gegen eine harte Männerbrust getreten, ein letztes mal der Gegner herzhaft gewürgt,
dann ist der Spuk vorbei.
Es ist vollbracht.
Die Qual hat ein Ende.
Das letzte Tor ist gefallen!

Die zerrissenen Mützen werden abgesetzt, die verbogenen Tore aus der Tiefe geholt und, nachdem alle so langsam wieder Luft bekommen, verschwindet auch der animalische Blick wieder aus ihren Augen.

Erst jetzt wird auch der, welcher Minuten zuvor noch der Feind war, wieder als Tauchkamerad erkannt.
Muskeln entspannen sich.
Die Gesichtszüge werden wieder locker.
Entspannung ......

Schwatzend und lachend begibt man sich zum gemeinsamen Auswaschen der Wunden und Zählen der blauen Flecken. Wie Trophäen werden die Verwundungen davongetragen.
Alle haben überlebt, welche Freude.
Welche Freude.

Aber nur für eine Woche.
Dann ist wieder Dienstag,
und Dienstag ist Rugbytag.

  Aber wie soll man das jemanden erklären?

 
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